Fragen aus dem Publikum - Teil 3 (Handlungszeit und -orte)

Nachdem ich in Teil 1 dieser Serie Typische Fragen an Autoren beantwortet habe wie:
- Wie bist du zum Schreiben gekommen?
- Wie hast du einen Verlag gefunden?
Und in Teil 2 Fragen aus dem Publikum wie:
- Wie viel von dir steckt in der Nicolae-Saga?
- Mit welcher deiner Romanfiguren kannst du dich am meisten identifizieren?
- Und hast du einen Lieblingscharakter?
Geht es in Teil 3 um Fragen zur Nicolae-Saga. Die meisten beziehen sich auf die Handlungsorte und die Handlungszeit.
- Warum das 19. Jahrhundert?
- Warum England?
- Warum Rumänien?
Warum das 19. Jahrhundert?
Das ist schnell erklärt. Das 19. Jahrhundert ist dasjenige, in dem ich mich zu Hause fühle. Seit jeher habe ich am liebsten Bücher gelesen und Filme geschaut, die in dieser Epoche spielen. Von daher hatte ich bereits vor Schreibbeginn eine Menge Rüstzeug. Falls ich schon einmal gelebt haben sollte, dann in jener Epoche.
Die Literaten des 19. Jahrhunderts haben mir ein umfassendes Bild ihrer Zeit vermittelt. Das können sie natürlich viel besser als jeder historische Roman, der von Autoren geschrieben ist, die diese Zeit nicht selbst miterlebt haben. Darum sind historische Romane in der Regel keine gute Quelle. Natürlich gibt es Ausnahmen. Zu selten sind solche Bücher gut recherchiert und strotzen vor abgedroschenem Beiwerk. Es geht um weit mehr als allgemein bekannte historische Ereignisse und ein paar Requisiten aus der Klamottenkiste. (Lesen Sie dazu auch meinen Blogbeitrag "Historischer Roman - gestern und heute.)
Wie hat sich diese Zeit angefühlt? Welche gesellschaftlichen Normen und Wertevorstellungen hatten die Menschen? Wie haben sich die historischen Ereignisse auf sie persönlich ausgewirkt, welche Konsequenzen hatten diese für ihre Lebens- und Denkweise? Welche Hoffnungen und Ängste trieben die Menschen um? Mit welchem Zeitgeist hatten sie zu kämpfen?
Das können uns nur Menschen verraten, die zu dieser Zeit gelebt haben. Wie gut, dass es genügend Literaten gab, die ihre Zeit eingefangen haben und sich die Handlung ihrer Bücher in unterschiedlichen Milieus zuträgt.
Aktuell feiern wir den 150. Geburtstag von Thomas Mann. Seine Buddenbrooks haben mich bereits als junge Frau tief beeindruckt. Mein früher Zugang zu diesem Roman ist nicht verwunderlich, da er im Lübecker Kaufmannsmilieu spielt und auch ich eine gebürtige Hanseatin bin. Es ist mein absoluter Lieblingsroman. Meine darin liebsten Charaktere sind zum einen die sich zwar auflehnende, dann aber doch der Familie verpflichtete Toni Buddenbrook;, sowie Thomas Buddenbrooks jüngerer Bruder Christian (Krischan), der mit hanseatischem Kaufmannswesen so gar nichts am Hut hat und lieber durch die Welt bummelt, immer seine schmerzende linke Seite als Vorwand nutzend. Die Romanfiguren sind mit so viel Authentizität und gleichzeitig Witz gezeichnet, dass man sie einfach lieben muss, selbst die eigenwilligsten Charaktere. Auch hat Thomas Mann viel Zeitgeschichte in seinen Familien- und Gesellschaftsroman mit eingebaut, sodass ein facettenreiches Abbild des 19. Jahrhunderts entstanden ist.
Romane wie diese haben definitiv zu meinem Historienbild beigetragen. Welche Schriftsteller jener Epoche mich noch fasziniert und beeindruckt haben, erfahren Sie in meinem Blogbeitrag Bücher - Freunde fürs Leben.
Warum England?
England wäre als junge Frau fast meine Wahlheimat geworden. Andere hatten im Jugendalter Poster von Popbands aus der Bravo in ihrem Kinderzimmer hängen und hörten die Internationale Hitparade; bei mir hing der Union Jack in allen Größen und es dudelte von morgens bis abends der Radiosender BFBS (British Forces Broadcasting Service).
TV-Serien wie "Die Forsyte-Saga" von 1967, "Das Haus am Eaton Place" von 1971 oder "Der Doktor und das liebe Vieh" (die von 1978 mit Christopher Timothy und Robert Hardy in den Hauptrollen) waren für mich ein absolutes Muss. Von Woche zu Woche fieberte ich auf die nächste Folge. Damals gab es ja noch keine Möglichkeit, eine Folge aufzuzeichnen und später anzuschauen. Darum waren die Sendezeiten für andere Dinge tabu. Es waren Serien, die sehr genau aufs Detail achteten und historische Ereignisse mit einbanden. Unnötig zu sagen, dass ich auch die literarischen Vorlagen dazu gelesen habe.
- The Forsyte-Saga: Romantrilogie von Literaturnobelpreisträger John Galsworthy
- Upstairs, Downstairs or The Secrets of an Edwardian Household von Drehbuchautor John Hawkesworth
- All Creatures Great and Small von Tierarztautor James Harriot
Bei meiner gräflichen Köchin in der Nicolae-Saga hatte ich anfänglich Mrs. Bridges aus dem Haus am Eaton Place vor Augen, aber nur ganz kurz. Frau Kirschner hat sehr schnell zu ihrem eigenen Charakter gefunden und ihre Herkunft ist ohnehin eine völlig andere als Banater Schwäbin.
Aber ja, diese Serien haben mein England-Bild deutlich mit geprägt und die Reisen dorthin es vervollkommnet. Kent, Devon, Yorkshire und natürlich immer wieder London, sind die Gegenden, die ich bereits als Schülerin bereist hatte. Nach dem Abitur hatte ich eine Ausbildung in der Krankenpflege an einem Londoner Krankenhaus begonnen. Doch leider habe ich es vorzeitig abbrechen müssen. Das Leben hatte anderes mit mir vor. Meine Leidenschaft für das Land ist jedoch ungebrochen.
Warum Rumänien?
Die Leidenschaft für dieses Land habe ich erst dank der Nicolae-Saga entdeckt. Zu Beginn meines Schreibprozesses war Rumänien auch für mich ein weißer Fleck auf der Landkarte, wie wahrscheinlich für die meisten von Ihnen.
Warum ich dieses Land als zweite Heimat für meinen Titelhelden ausgesucht habe? Weil es auf der entgegengesetzten Seite Europas einen Gegenpol bildet zum damaligen hochmodernen England mit seiner fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung. Ein in der Zeit stehen gebliebenes Karpatendorf bot die perfekte Kulisse für den mystischen Anteil der Saga, denn Rumänien ist ein Land voller Sagen und Legenden. Und ja, auch ein gewisser Graf spielt darin eine nicht unwesentliche Rolle, wenn auch ganz anders als vermutet - und auch für mich eher unerwartet. (Darüber in Kürze mehr.)
Der ursprünglich für mich wichtigste Aspekt aber war, dass die Kelten in Rumänien ihre Spuren hinterlassen haben. Die römischen Spuren dort sind hinlänglich bekannt, nicht umsonst findet man in jeder größeren Stadt das Standbild von Romulus und Remus (den sagenhaften Gründern Roms) mit der säugenden Wölfin. Und auch die lateinische Sprache verrät das kulturelle Erbe.
Die Kelten hingegen haben generell kaum Spuren hinterlassen. Dafür jedoch haben sie sich in der Blutlinie der Rumänen verewigt, als sie sich mit den dort lebenden Dakern ("Urvolk" der Rumänen vor der Romanisierung) vereinten. Die Parallelen zwischen Dakern und Kelten sind zwar wissenschaftlich nicht nachgewiesen, aber deutlich erkennbar.
Und warum war mir das keltische Erbe der Rumänen so wichtig? Weil die Mythologie der Kelten sich wie ein roter Faden durch die sieben Bände der Nicolae-Saga zieht. Immer wieder gibt es Episoden, in denen die Vorfahren eine Rolle spielen und die Romanfiguren metaphysischen Erfahrungen ausgesetzt sind. Die Welt hinter der mit unseren Sinnen erfahrbaren, das Unerklärliche und Geheimnisvolle - als Kontrast zum Zeitalter der Aufklärung und Wissenschaft westlicher Kulturen. Auch heute noch sind die Rumänen ein mehrheitlich gottesfürchtiges Volk mit Tendenz zu vorchristlichen Bräuchen, die mit der Verehrung von Naturmächten einhergeht. (Mehr zum Thema Rumänien folgt demnächst.)
Damit konnte ich einen großen Bogen über das Europa des 19. Jahrhunderts schlagen und historische Ereignisse neu beleuchten. Meist lernen wir nur einzelne Teile einer Epoche kennen, ohne dass sie in einen zeitlichen Zusammenhang mit Themen aus anderen Lebensbereichen gebracht werden. Genau das habe ich in der Nicolae-Saga nachgeholt, um ein ganzheitliches Bild auf diese wegweisende Epoche zu werfen und es durch meine Romanfamilie lebendig und erfahrbar werden zu lassen. So viele Weichen zur heutigen Zeit wurden damals gestellt. Somit bleibt die Nicolae-Saga immer aktuell.
Lesen Sie aus dieser Serie auch:
- Typische Fragen an Autoren - Startschuss und Verlagssuche
- Fragen aus dem Publikum - Teil 2 - Wie viel von mir in der Nicolae-Saga steckt und weitere Antworten