· 

Fragen aus dem Publikum - Teil 5 (Genre Vampirroman?)

Fragen aus dem Publikum - Teil 5

Fragen aus dem Publikum Teil 5: Ist die Nicolae-Saga ein Vampirroman?

Ist die Nicolae-Saga ein Vampirroman?

Sobald ich auf meinen Lesungen erzähle, dass die Nicolae-Saga nicht nur im viktorianischen England, sondern auch in Rumänien spielt, kommt die Frage auf, ob es sich um einen Vampirroman handelt. Verständlich, denn "Dracula" ist oftmals das Einzige, das den Leuten zu Rumänien einfällt; das wird Bram Stoker so schnell keiner nachmachen können.

 

Ist die Nicolae-Saga also ein Vampirroman? Das muss ich verneinen, denn es würde falsche Erwartungen wecken.

ABER ...

Die rumänische Folklore

Der Aberglaube spielte - und spielt noch immer - eine große Rolle bei den Rumänen. Geschichten von "Wiedergängern" und "Untoten" sind Bestandteil des Volksglaubens. Die Strigoi sind so lebendig wie seit Urzeiten und gehören selbstverständlich auch zu den Bewohnern meines fiktiven Karpatendorfes.

 

Doch der mythologischen Wesen gibt es noch viele mehr, wie zum Beispiel die Ielele, ähnlich der griechischen Sirenen. Oder der Moroi, eine verdammte Seele. Ebenso spuken Werwölfe in den rumänischen Wäldern bei Vollmond umher und suchen ihre Opfer unter unachtsamen Bergbauern, die sich nicht rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit in Sicherheit gebracht haben. Ja, da werden zur Abwehr des Bösen tatsächlich Knoblauchgirlanden und Kräuterbündel um Fenster dekoriert, wie wir es aus manchem Vampirfilm kennen.

 

Des Weiteren gibt es eine lange Liste von Bräuchen und damit verbundene Gebote und Verbote, die Unheil von sich und der Familie fernhalten sollen.

So darf eine Schwangere nicht ins Feuer pusten, damit ihr Kind nicht mit einem Feuermal geboren wird. Sie darf auch nicht fluchen, weil der Fluch ihr Ungeborenes treffen könnte.

Tote dürfen nur mit den Füßen voran aus dem Haus getragen werden, weil sie sonst wiederkehren (also zu Wiedergängern werden) und so der Familie als Geist das Leben vergällen. Und wehe eine Katze läuft bei der Beerdigung unter dem zum Grab getragenen Sarg hindurch, dann kann sich die Familie so gut wie sicher auf den Besuch eines Untoten einstellen. Das gleiche Schicksal trifft übrigens all jene, die ohne brennende Kerze gestorben sind sowie jedes als siebentes geborene Kind. Da nützt auch keine Totenwache von 3 (oder waren es 7?) Tagen und Nächten mehr. Die arme Seele des Verstorbenen wird den Weg ins Jenseits nicht finden und dazu verdammt sein, für alle Ewigkeiten auf Erden herumzuspuken. Nur eines hilft so sicher wie das Amen in der Kirche: ein Holzpflock mitten durchs Herz! 

Es gibt unfassbar viele Gefahren und Schicksale dieser Art. Und damit unendlich viele Gruselgeschichten.

 

Aus manchem des zuvor Genannten hat Bram Stoker seinen Schauerroman zusammengerührt. Recherchiert hat er jedoch ganz brav und in der Sicherheit der Bibliothek des Britischen Museums. Darüber hinaus wurde er von ominösen Professoren mit allerlei Unfug historischen Ursprungs gefüttert. 

(Ein Thema in Band 7 der Nicolae-Saga, wo Bram Stoker höchstpersönlich in einer kleinen Szene in Erscheinung tritt - das konnte ich mir nicht verkneifen!)

 

Zwar habe ich im Gegensatz zu Bram Stoker keinen Vampirroman geschrieben, aber mit solchen und ähnlichen Zutaten das Leben meiner rumänischen Romanfiguren gewürzt. Denn selbst die großen Literaten Rumäniens bringen diese folkloristischen Themen immer wieder mit ins Spiel. Von daher musste ich davon ausgehen, dass sie zur rumänischen Mentalität einfach dazugehören und liebevoll gepflegt werden. 

 

Das englische Personal bekam es zuvor schon mit keltischer Mythologie zu tun, die der rumänischen nicht unähnlich ist.

Also ja, mitunter geht es recht unheimlich und mystisch in der Nicolae-Saga zu, für manche Leser vielleicht sogar gruselig.

Historisches Vorbild für "Dracula"

Als feststand, dass Rumänien Nicolaes zweite Heimat werden soll - wegen der Kelten (Nicolaes Vorfahren), die auch in Rumänien ihre Spuren hinterlassen hatten (siehe Teil 3 dieser Serie: Warum Handlungsort Rumänien?) -, habe ich als Erstes folgenden Beschluss gefasst:

Ich werde auf gar keinen Fall den berühmt-berüchtigten Fürsten der Walachei Vlad III., genannt der Pfähler (Vlad Tepes), mit ins Spiel bringen! Das verbot sich von selbst, weil es mich schon zu Beginn der Recherche nervte, immer wieder über diese historische Persönlichkeit zu stolpern, sobald das Stichwort "Rumänien" fiel. Als hätte das Land nicht so viel mehr zu bieten!

 

Glücklicherweise sind in den letzten Jahren viele großartige und höchst informative Seiten über Rumänien im Internet entstanden; heutzutage hätte ich wesentlich bessere Recherchebedingungen. Aber zu Zeiten, als ich mit meiner Recherche begann, gab es leider eine Menge unseriöser Seiten und es war viel Arbeit, verwertbares Material herauszufiltern.

Da ich dabei immer wieder mit der Nase auf Vlad Tepes gestoßen wurde, las ich mir den einen oder anderen Artikel dann doch durch. Und: Mir begann das Blut in den Adern zu brodeln! Nein, nicht wegen der blutrünstigen Geschichten über ihn. Sondern wegen der unsachlichen Art der Reportagen. Wie konnte nur so viel Hass auf einen mittelalterlichen Fürsten Jahrhunderte überleben?

An der Stelle wurde mir klar, dass ich mit deutschsprachigen Seiten aus Siebenbürgen nicht weiterkam. Sie speisten ein absolut einseitiges und teilweise diffamierendes Bild zur Geschichte der Rumänen. 

 

Ein harmlos wirkender Artikel in einer siebenbürgischen Zeitschrift schlug dem Fass endgültig den Boden aus. Es ging um eine Gemäldeausstellung in einem österreichischen Schloss. Eines der Exponate war ein Porträt Vlad III. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich noch nicht allzu sehr mit dem walachischen Fürsten befasst. Von daher war mein Blick relativ neutral und unvoreingenommen. Die Bildbeschreibungen, und vor allem die Bildinterpretationen, ließen mich ungläubig die Augen reiben. Was für Charakterzüge aus dem Gesicht des Fürsten und seiner Haltung gelesen wurden - Donnerwetter! Ich jedenfalls sah in demselben Bild etwas völlig anderes.

 

Dies hat mich zu einer Szene in Band 2 der Nicolae-Saga inspiriert, die sich im transsilvanischen Herrmannstadt/Sibiu zuträgt und die ich schon mehrmals auf Lesungen zu Gehör gebracht habe. Sie finden Sie in gekürzter Form auf meiner Website unter Leseproben >Kapitel 11: Die Gemäldeausstellung.

 

Gerade diese Einseitigkeit und der über Jahrhunderte genährte Hass weckten nun doch mein Interesse an dieser historischen Figur. Was hatte er getan, was nicht andere Tyrannen der Geschichte auch getan hatten? Selbst der Vatikan wäscht seine Hände nicht gerade in Unschuld, wenn es um peinliche Verhöre, sprich bestialische Folter geht. Was also war das wahre Vergehen Vlad III.? Die massenweise Pfählung, wie es an anderen Höfen Europas ebenfalls gang und gäbe war? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter?

 

Ich war neugierig geworden und begab mich auf seine Spuren. Ganz bewusst habe ich keine Biografien - selbst die noch so angepriesenen - über ihn gelesen. Ich wollte mir ein eigenes Bild machen. Dieses fand ich bei rumänischen Literaten und Historikern und sogar in literaturwissenschaftlichen Fachbüchern. Nach und nach entstand ein die Historie berücksichtigendes schlüssiges Bild. Auf meinen Recherchereisen habe ich dieses mit der durchaus differenzierten Darstellung verschiedener Reiseleiter abgeglichen und war am Ende sehr beruhigt. Mein Bild war stimmig.

 

Es ist nun mal so: Wenn man Rumäniens Geschichte beleuchtet, kommt man an Fürst Vlad III. aus dem Hause Basarab einfach nicht vorbei. In Rumänien wird er nach wie vor verehrt. An allen Orten - und es sind derer viele! -, an denen er seine Spuren hinterlassen hat, finden sich Büsten und Denkmäler. (Darüber demnächst mehr hier in diesem Blog, Thema: Recherche-Reisen.)

 

Und so wurde mein ursprünglicher Beschluss, diese zum Unhold stilisierte historische Figur nicht zu benutzen, zunichte gemacht.  Vlad III. hat daher in der Nicolae-Saga seinen Platz gefunden. Sonst wäre die "große Rumänien-Saga", wie sie einmal von einer Leserin tituliert wurde, auch nicht vollständig.

 

Warum überhaupt dieser Sprung zurück ins 15. Jahrhundert, fragen Sie sich?

Ganz einfach: um sich die Gegenwart erklären zu können, muss man sich mit der Vergangenheit befassen. Auch wenn die Mitte des 19. Jahrhunderts mein Ausgangspunkt war, so habe ich das Davor und das Danach ebenfalls erkundet, um ein Gesamtbild zu erhalten.

Dabei ist mir Folgendes bewusst geworden: Der größte Fehler unserer Tage ist es, Ereignisse und Persönlichkeiten der Vergangenheit aus ihrem historischen Kontext zu reißen und nach heutigen Maßstäben zu beurteilen. Das ist nicht nur unseriös, sondern zudem unfair und brandgefährlich. 

Das zum einen. Zum anderen geht es in der Nicolae-Saga um die Vorfahren und ihre Macht, die sie mitunter auf uns ausüben; auch um vererbte Erinnerungen, was ein äußerst spannendes Thema ist.  

 

Also doch ein Vampirroman, da Bram Stokers historisches Vorbild für Dracula in der Nicolae-Saga eine Rolle erhalten hat?

Nein, ABER es ist eine mystische Familiengeschichte, die mit vielen Komponenten des Schauermärchens spielt, ohne dabei die historischen Grundlagen aus dem Fokus zu verlieren. 

Also History & Fantasy, wie ich die Nicolae-Saga zuweilen gerne bewerbe. Eine kombinierte Kategorie, die es - wie so viele andere auch - auf dem deutschen Buchmarkt leider nicht gibt.

In welches Genre gehört die Nicolae-SAga?

Das ist die Frage aller Fragen. Wobei unter "Genre" in diesem Zusammenhang die Buchkategorie gemeint ist, also das Regal, in dem das Buch im Handel stehen soll. Wobei selbst publizierte Bücher höchst selten bei einem Buchhändler im Regal stehen - sieht man von dem neuesten Trend der auf Tik Tok prämierten Bücher einmal ab, die hauptsächlich aus den Genres Young Adult und Fantasy stammen. 

 

Also in welches Genre gehört die Nicolae-Saga? Auf diese Frage habe ich lange keine eindeutige Antwort gefunden. Denn die Geschichte um Nicolae ist aus sich selbst heraus entstanden. Sie hatte weder eine Zielgruppe oder ein Genre, noch merkantile Verwertbarkeit im Sinn. Sie wollte einfach nur geschrieben werden. Punkt.

 

Und ich bin davon überzeugt - trotz gegenteiliger Meinung sämtlicher Buchmarketingberater -, dass genau so Geschichten geschrieben werden sollten: mit heißem Herzen und nicht mit kaltem Kalkül.  

 

Trotzdem war ich bei der Veröffentlichung gezwungen, mein Buch in eine Schublade zu packen. Die Angabe der Kategorie ist bei der Anmeldung im Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) verpflichtend. Wohin also damit?

 

Die Nicolae-Saga ist genau das, was vorne auf dem Umschlag steht: Eine Familiensaga im 19. Jahrhundert.

Aber ist sie deshalb zwangsläufig als Historischer Roman einzuordnen? Wenn ich mir die aktuellen Bücher in diesem Genre anschaue, dann sicher nicht. In dieser Schublade fühlt sie sich auch gar nicht wohl. Und doch ist sie dort gelandet. 

 

Dabei ist sie so viel mehr. Sie ist:

Eine solche Vielseitigkeit ist im deutschen Buchhandel nicht vorgesehen und offenbar auch nicht erwünscht. Eindeutige Etiketten sind gefragt.

 

Erst als ich kürzlich in einem literaturwissenschaftlichen Beitrag auf den etwas abfällig gemeinten Begriff  "Genre-Schreiberei" stieß, wurden mir die Augen geöffnet.

Darin wurde der Unterschied zwischen literarischer Belletristik und Genre-Belletristik erklärt. Diese Begriffe waren mir zuvor nie untergekommen. Bei der literarischen Belletristik stehen die Charaktere und das Thema im Vordergrund, bei der  Genre-Belletristik die Handlung. Das erklärt einiges!

 

Per Definition gehört die Nicolae-Saga also gar nicht in die Genre-Belletristik. DARUM hatte ich solche Schwierigkeiten, sie einer der üblichen Kategorien zuzuordnen. Doch nur das wurde abgefragt. Wahrscheinlich weil die Mehrheit der Autoren in einem der gängigen Genres wie Fantasy, Krimi, Liebesroman etc. schreibt.

 

Und nun? Was bringt mir diese Erkenntnis? Außer vielleicht, dass die Nicolae-Saga auf mehreren Regalen stehen sollte.  

Also bitte, man wird ja wohl noch träumen dürfen! 


In der Reihe "Fragen aus dem Publikum" bereits erschienen:

> Kontakt