Literatur in der Nicolae-Saga
Meine Liebe zur Literatur – vor allem zu den Klassikern des 19. Jahrhunderts, wie bereits in Teil 1 dieser Blog-Beitragsreihe erwähnt, ist zwangsläufig in die Nicolae-Saga mit eingeflossen. Zumal Bücher - mangels der Flut von heutigen Zerstreuungen - damals eine wesentlich größere Rolle spielten.
Vor allem im aufstrebenden Bürgertum wurde viel gelesen, wie es etliche Impressionisten für uns festgehalten haben. Das Motivbild oben stammt von Pierre-Auguste Renoir aus dem Jahr 1878.
Die Lektüre meiner Romanfiguren habe ich nie zufällig ausgewählt. Es gibt immer einen unmittelbaren Zusammenhang zu ihrer Lebensrealität oder zu ihren Gefühlswelten.
Rebeccas Lektüre
Wie Nicolae hat auch seine Mutter stets ein Buch bei sich - ob unten am Strand in der geheimen Bucht oder beim Besuch des Regent's Parks in London, oder zu Hause in der Berkeley Street im Lehnsessel beim Erkerfenster.
Besonders die romantischen Gedichte der englischen Lyriker haben es ihr angetan - von William Wordsworth über Lord Byron zu Algernon Swinburne. Eine Kostprobe von Rebeccas Lieblingsgedichten gibt es in meiner Schatzkiste zu lesen.
Elizabeth Barrett-Browning
Da sind zuallererst die Portugiesischen Sonetten von Elizabeth Barrett-Browning (1806-1861) - ein Gedichtband, den schon Rebeccas Mutter stets in greifbarer Nähe hielt.
Die abenteuerlich-romantische Geschichte dieser teilweise gelähmten Dichterin, die mit dem berühmten Dichter Robert Browning aus dem Hause ihres Vaters nach Italien floh, hatte im viktorianischen England für mächtig Furore gesorgt. Der Leser darf vermuten, dass Rebecca in ihr eine heimliche Heldin sah.
Sie schlug den Gedichtband auf. Ein Windzug erfasste die ersten Seiten und blätterte sie um. Dort wo sie zu stehen kamen blieb Rebeccas Auge hängen. Unwillkürlich begann sie zu lesen:
"Mag Land um Land anwachsen zwischen uns, so muss doch dein Herz in dem meinen bleiben, doppelt schlagend. Und was ich tu und träume, schließt dich ein: So sind die Trauben überall im Wein.
Und ruf ich Gott zu mir: Er kommt zu zwein; Und sieht mein Auge zweier Tränen tragend."*
Mit feuchten Wangen blickte sie den schnell ziehenden Wolken hinterher und betete inständig, sie würden diese Worte mit sich auf Reisen nehmen und am richtigen Ort niederregnen lassen.
(Aus Band 1 der Nicolae-Saga: Zwischen den Welten)
* Dieses Gedicht stammt aus der Portugiesischen Sonette VI (1850) in der deutschen Übersetzung von Rainer Maria Rilke.
Wer von meinen Lesern diese Zeilen nicht überspringt, sondern aufmerksam liest, dem wird spätestens an dieser Stelle klar, dass sich Rebecca fortwährend nach ihrer heimlichen wahren Liebe sehnt - und auch, um wen es sich dabei handelt.
Denn ja, die Autorin hat sich durchaus etwas dabei gedacht. ;-)
Auf die englische Dichterin Elizabeth Barrett-Browning wurde ich durch einen wunderbaren Roman aufmerksam: Die Dienerin von der leider schon verstorbenen Margaret Forster - ein Stück Zeitgeschichte im Spiegel des berühmten Dichterpaars.
Erzählt wird deren romantische Geschichte aus der Sicht von Elizabeths Leibdienerin. Von daher enthält sie eine ordentliche Portion Sozialkritik. Denn auch berühmte Dichterinnen wie Elizabeth Barrett-Browning, die sich öffentlich gegen Kinderarbeit und Sklaverei ausspricht und sich für eine bessere Behandlung der unteren Klassen einsetzt, schafft es nicht, den propagierten moralischen Werten selbst zu entsprechen. Als ihre seit Jahrzehnten treue Dienerin schwanger wird, wird diese kurzerhand von ihr entlassen und ihrem Schicksal überlassen.
Der 1990 erschienene Roman muss mich stark beeindruckt haben. Jedenfalls habe ich das Thema der schwangeren Dienerin in Band 6 der Nicolae-Saga (1882-1892) unbewusst aufgegriffen - wenn auch auf völlig andere Art und mit anderen Folgen. Denn die romantischen Zeiten Barrett-Brownings sind zur Handlungszeit der Nicolae-Saga längst vorbei. Nicolaes 7 Jahre jüngere Schwester Natalia ist bereits ein Kind des Realismus und äußerst progressiv in ihrer Einstellung zur Dienerschaft. Dementsprechend kommt es zu einem Aufruhr ganz anderer Art im Haus der Familie, sowohl upstairs als auch downstairs.
Der Eklat um Swinburne
Man könnte sagen, dass Algernon Charles Swinburne DER Skandaldichter schlechthin in der viktorianischen Epoche war. Nur noch Oscar Wilde hat ihm später diesbezüglich den Rang abgelaufen, wenn auch auf gänzlich andere Weise.
Swinburnes Gedichte kreisen um absolute Tabu-Themen. Die erotischen Beschreibungen in seinem ersten Gedichtband "Poems and Ballads" lösten 1866 einen literarischen Skandal aus.
Ausgerechnet diesen Gedichtband bekommt Rebecca zu Weihnachten anonym geschenkt, was ihren Gatten Peter maßlos entrüstet. Der Inhalt der Gedichte hatte für Empörungswellen in der Literaturwelt gesorgt und war von den Boulevardblättern sensationslüstern aufgegriffen worden. Dass Swinburne von seinem Freund Dante Gabriel Rossetti mitten in der Nacht sturzbetrunken vor die Tür gesetzt worden war, war damals Stadtgespräch in London und selbst bis in Peters Geschäftswelt vorgedrungen.
»Welch vortreffliche Wahl!«, rief Robert begeistert aus. »Swinburne, dieser Echauffierer, dieser Nihilist unter den Bibelkundigen, dieser Aufrührer unserer geheimsten Gelüste! Ja, er hat fürwahr in dieser Saison die keusche Bürgerseele zum Kochen gebracht.«
Peter warf einen alarmierten Blick auf den Gedichtband. »Ist das etwa dieser Schmierfink, der seine perversen Phantasien in schöngeistige Reime verpackt?«, fragte er gereizt.
Verwirrt blickte Rebecca zwischen den beiden hin und her.
»Ebendieser, lieber Peter. Keiner hat es wie er geschafft, die Lust der Liebe in so sinnlich erotische Gedichte zu kleiden«, schwärmte Robert, was Peter offenkundig nur noch mehr aufbrachte.
»Becky, ich verbiete dir, auch nur eine einzige Zeile darin zu lesen! Am besten wirfst du diesen Schmutz gleich ins Feuer! - Ich frage mich nur, wer sich erdreistet hat, dir so etwas zu schicken.«
(Aus Band 1 der Nicolae-Saga "Zwischen den Welten")
Und so kann selbst ein Gedichtband für mächtig viel Zündstoff unter Eheleuten sorgen. Zumal eines der Gedichte noch eine besondere Rolle spielen wird.
Sense and Sensibility
Jane Austens berühmter Roman Verstand und Gefühl ist eines von Rebeccas Lieblingsbüchern. Auch ihre wenig romantisch veranlagte ältere Schwester Judith scheint ihn in jungen Jahren gelesen zu haben, denn Rebecca findet darin allerlei Randnotizen von dieser.
Die rein charakterlichen (!) Parallelen zwischen meinen beiden ungleichen Schwestern Judith und Rebecca zu Austens Romanfiguren Elinor und Marianne sind für Kenner des Austen-Romans offensichtlich. Ebenso wie Elinor ist Judith der eher sachliche Typ und weiß ihre Gefühle zu beherrschen. Während Rebecca wie Marianne emotional reagiert und damit oftmals für mächtig viel Aufregung sorgt. Mit der Handlung gibt es jedoch keinerlei Gemeinsamkeiten.
Der Roman Stolz und Vorurteil fand im ursprünglichen Manuskript ebenfalls Erwähnung, fiel später aber dem Rotstift zum Opfer. Beide Romane habe ich als junge Frau im englischen Original gelesen. Das ist über 40 Jahre her! Vielleicht sollte ich sie mal wieder zur Hand nehmen, nur um zu prüfen, ob sie mir heute in reiferen Jahren noch ebenso viel mitzuteilen haben.
Rebecca hatte es sich mit Jane Austens "Sense and Sensibility" im Ohrensessel ihres Vaters gemütlich gemacht. Sie musste schmunzeln, als sie die unterstrichenen Passagen und Randbemerkungen las, die ihre Schwester in dem Buch hinterlassen hatte. Ein ganzer Ozean lag nun zwischen ihnen. Judy so weit fort zu wissen, hinterließ immer noch ein beklemmendes Gefühl in ihr. Ihre Schwester war ihr Rettungsring gewesen, der in Notlagen stets zur Stelle gewesen war. Jetzt musste sie lernen, frei zu schwimmen.
(Aus Band 1 der Nicolae-Saga "Zwischen den Welten")
Die Erwähnung von Sense and Sensibility ist als Tribut an die große englische Schriftstellerin Jane Austen gedacht.
Die Brontë-Schwestern
Auch diese finden später in Band 4 der Nicolae-Saga "Abseits der Pfade" als Lieblingslektüre Rebeccas Erwähnung.
Sowohl der Roman Jane Eyre von Charlotte Brontë als auch Wuthering Heights (zu Deutsch: Sturmhöhe) von Emily Brontë haben Rebecca schwer beeindruckt.
Gerne wäre sie ein wenig wie Charlotte Brontës Titelheldin Jane Eyre - oder wie ihre Schwester Judith, die ihren Lebensweg selbst gewählt hat. Letztere führt in London ein selbstbestimmtes Leben als Krankenpflegerin und Assistentin eines Armenarztes, während sie mit der "guten Partie" Peter verheiratet wurde und sich in das "Gefängnis einer Ehe" gesperrt sieht. Rebecca, die sich stets verpflichtet fühlt, den Erwartungen ihres Vaters zu entsprechen, ficht seit ihrer Ehe mit Peter innere wie äußere Kämpfe aus, um sich aus dem familiären wie gesellschaftlichen Korsett zu befreien.
Doch ist sie dem nicht gewachsen, sodass sie sich immer wieder in romantische Träumereien flüchtet. Die dramatische wie düstere Geschichte um den Helden Heathcliff in "Wuthering Heights" trifft genau ihren Nerv. In der willensstarken Cathy sieht sie ein Idol und wünscht sich etwas von deren Durchsetzungskraft.
Die Romane der Brontë-Schwestern sind erschienen, als Rebecca noch ein Kleinkind war. Man kann also davon ausgehen, dass schon ihre Mutter die Romane gelesen hat und Rebecca dadurch früh Zugang zu ihnen fand. Allerdings waren die Romane, die heute zur Weltliteratur gehören, zunächst nur im Norden Englands beliebt, vor allem in der Grafschaft Yorkshire, wo die Brontë-Schwestern gelebt haben. Den Siegeszug um die Welt traten sie erst sehr viel später an.
Und weitere bedeutende Dichter
... wie Wilkie Collins, Charles Dickens, Arthur Conan Doyle, Robert Louis Stevenson, Bram Stoker und Oscar Wilde folgen in Teil 3 der Reihe "Literatur in der Nicolae-Saga".
Sie können aber jetzt schon in dem Verzeichnis historischer Persönlichkeiten einen Blick auf die Kurzvita der berühmten englischen Literaten werfen, die in der Nicolae-Saga vorkommen.
> Teil 1 der Reihe "Literatur in der Nicolae-Saga"
Und welche von den englischen Schriftstellern haben Sie begeistert? Ich bin gespannt! >Kontakt