Goethe und die Ursprünge des Faust-Mythos

Wie die Leser meiner Nicolae-Saga wissen, hab ich's ja mit Sagen, Legenden und Mythen. Nicht ohne Grund habe ich meine Romanreihe ins sagenumwobene Rumänien verortet.
Und genau deshalb bin ich auf die Bildbandreihe "Mythen und Legenden" von Gerald Axelrod aufmerksam geworden. Den Bildband Transsilvanien - Im Reich von Dracula hatte ich mir damals als Recherchematerial zugelegt und bin dort auf großartige Quellen gestoßen.
Mittlerweile habe ich mir fast sämtliche Bildbände dieses Autors zugelegt: König Artus, Nostradamus, Frankenstein und die Illuminaten u.v.m. Denn Gerald Axelrod versteht es meisterhaft, Mythen auf den Grund zu gehen, indem er zunächst die historischen Fakten zusammenträgt und dann der Mythenbildung nachspürt.
Was ist dran an der Legende? Wie viel Wahrheit enthält sie? Was wurde hinzugedichtet? Wie und warum ist sie entstanden? Das jeweilige Thema wird unter Berücksichtigung des historischen Hintergrunds aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dabei schildert Axelrod seine Recherchearbeit so spannend, dass man meint, sich mit ihm gemeinsam auf die Spuren eines uralten Rätsels gemacht zu haben. Einfach genial!
Das Besondere: die Bildbände sind gespickt mit mystischen Fotografien von Originalschauplätzen, sodass man Lust bekommt, diese selbst einmal in Augenschein zu nehmen.
Faust - Eine Spurensuche
Sein neuestes Werk beleuchtet den Faust-Mythos und zeigt den Weg auf, wie daraus Jahrhunderte später das dichterische Meisterwerk Faust. Der Tragödie erster Teil von Johann Wolfgang von Goethe entstanden ist - für mich das Nonplusultra sämtlicher Dichtungen, denn damit ist eigentlich alles erzählt.
Schon im Vorwort erfahren wir Leser, dass es um die einhundert Faust-Legenden unterschiedlicher Art gab, bevor Goethes "Faust" erschien. Das macht die Arbeit, Fakten und Legenden auszuwerten nicht gerade einfach. Trotzdem hat Gerald Axelrod diese auf sich genommen und sich von allen möglichen Seiten an das Thema herangepirscht.
Im ersten Teil begibt er sich auf die Suche nach dem historischen Faust, seines Zeichens Alchemist, Astrologe und Magier. Dieser Beruf macht ihn von vornherein verdächtig! Vor allem zu Zeiten von Hexenverfolgungen und Teufelsaustreibern.
Bei den sagenhaften Geschichten, die über ihn kursieren - wie der Ritt auf einem Weinfass aus Auerbachs Keller in Leipzig - kann es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Da muss der Teufel seine Hand mit im Spiel gehabt haben! Und schon wird ihm unterstellt, einen Pakt mit dem Höllenfürsten geschlossen zu haben.
Verwirrenderweise passen die Erzählungen über Faust oft nicht zusammen. Die einen halten ihn für einen Scharlatan, der den Leuten mit seinen Possen das Geld aus der Tasche zieht, die anderen für einen ernstzunehmenden Heiler und Wahrsager, der in hohen Kirchen- und Adelskreisen verkehrt.
Und so gibt es unterschiedliche Theorien darüber, ob es sich vielleicht in Wirklichkeit um unterschiedliche Personen gleichen Namens handelt, oder ob er gar ein Doppelleben wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde führte. Gerald Axelrod jedoch zieht seine eigenen Schlussfolgerungen.
Wie man sieht, ist es notwendig, das Leben und Wirken von Johann Georg Faust (1480 bis 1540) im historischen Kontext zu betrachten, um die Legenden, die nach seinem Tod in Umlauf gerieten, zu verstehen. Genau damit befasst sich der zweite Teil des Bildbandes. Darin geht es um "Klostergespenster" und "Höllenzwänge".
Die Legenden um Faust erschienen 1587 in der Historia von D. Johann Fausten. Darin werden 68 Episoden seines Lebens als "Teufelsbündler" geschildert - zur Warnung für die Gläubigen. Doch der Schuss ging nach hinten los. Denn die Leute - begierig von den Zaubereien und Hexereien zu lesen -, machten das Werk zum Bestseller. Für das Volk, das mehrheitlich nicht des Lesens mächtig war, bot man auf den Straßen Puppenspiele und Marionettentheater an.
So verbreiteten sich die Faust-Legenden immer weiter, bis sie schließlich im Jahre 1756 den noch sehr jungen Johann Wolfgang von Goethe infizierten. Das Puppenspiel muss einen Keim in ihn gesetzt haben, der über die Jahrzehnte heranreifte, bis er nach über 50 Jahren aus der Feder des berühmtesten Dichters Deutschlands erblühte.
Mit diesem Verlauf beschäftigt sich der dritte Teil. Axelrod erzählt uns, wie Goethe in Fausts Bann geriet, spürt seinem Werdegang nach und forscht, wo und wann der Dichter mit Faust in Berührung kam. Vor allem geht er der Frage nach, was Goethe an dem Faust-Stoff so sehr faszinierte. Und wieso er die Geschichte einer Kindsmörderin (Gretchen) mit einband.
Am Ende haben wir ein rundes und facettenreiches Werk um mehr als ein Mysterium und ... sind so klug als wie zuvor.
Nein, natürlich nicht! Der Autor hat uns faszinierende Einblicke in die Zeit Fausts und Goethes verschafft, hat aufgezeigt, wie Legenden entstehen und lebendig gehalten werden. Vor allem aber, warum!
Daher: Wärmste Empfehlung für alle Mysteryfans und Goethe-Liebhaber.