Recherche-reisen in Rumänien - Teil 1

Autoren von Science-Fiction oder Fantasy-Romanen haben es gut. Ihr Handlungsort darf der reinen Fantasie entspringen. Niemand kann ihnen ein Richtig oder Falsch nachweisen.
Allen anderen Autoren wird empfohlen, Handlungsorte zu wählen, die sie wirklich gut kennen - am besten also den Heimatort oder zumindest einen oft besuchten Urlaubsort. Nicht umsonst wimmelt es von Toskana bis Sylt-Krimis.
Wie viel Vor-Ort-Recherche ist notwendig?
Es geht um Authentiziät. Wer also über ein anderes Land schreibt, sollte dieses, um es glaubhaft beschreiben zu können, auf jeden Fall intensiv bereist haben.
Wirklich?
Es gibt populäre Fälle, wo dies nicht so war. Und trotzdem hätte jeder Leser geschworen, dass der Autor vor Ort war und die Schauplätze seiner Romane mit eigenen Augen gesehen hat.
Karl May ist jedenfalls niemals durch die Prärie geritten, so viel steht fest. Er hat vor seinen Winnetou-Veröffentlichungen weder "Rothäute" zu Gesicht bekommen, noch hat er jemals ein Tipi betreten. Und auch den Orient soll er erst sehr viel später bereist haben.
Na und? Offensichtlich war seine Recherche gut genug, um seine Abenteuergeschichten glaubhaft zu vermitteln. Oder wie sonst ist der anhaltende Welterfolg seiner Werke zu erklären?
Trotzdem ist eine gute Recherche zum Handlungsort eines Romans wichtig. Schon allein damit sich der Autor in seine Romanfiguren nicht nur hineindenken, sondern auch hineinfühlen kann.
Ich muss nicht nur wissen, wie der Ort, an dem die Handlung stattfindet, aussieht - dank des Internets ist das heutzutage ja kein Problem mehr. Es geht um Details: Welche Vogelstimmen vernehme ich dort? Welche Pflanzenvegetation sondert ihre Düfte ab? Welches Licht und welche Farben herrschen vor? Welchem Klima sind die Figuren ausgesetzt und inwieweit wirkt sich dieses auf ihre alltäglichen Gewohnheiten aus? Mit welchem Menschenschlag wird die Romanfigur konfrontiert?
All das spielt eine Rolle, um eine bestimmte Region zu erleben.
Muss ich also wirklich dort gewesen sein, um all das beschreiben zu können?
ein Geständnis
Ich behaupte: Nein! Vorausgesetzt, man verfügt über genügend Vorstellungsvermögen. Die oben beschriebenen Detailfragen lassen sich auch anderweitig klären.
Ich habe mir damals massenweise Fotogalerien und Videos über die Südkarpaten angehen bzw. auf mich wirken lassen; ausführliche Wanderberichte gelesen und jede TV-Reportage über Rumänien verschlungen; mich über die Vegetation und Tierwelt schlau gemacht; dann meine Bergerfahrungen von unseren zahlreichen Wanderurlauben hinzugezogen; und schließlich die Beschreibungen einheimischer Literaten aufgesogen.
Nicht das einzelne Rechercheergebnis hat sein Werk getan, sondern die Masse an Impressionen hat das Gesamtbild ergeben.
Ich konnte mir die Wolfsschlucht, die das Ober- mit dem Unterdorf verbindet, also bestens vorstellen, ebenso die donnernden Wasserfälle und blühenden Matten - und das, obwohl ich auf dem platten Land in Norddeutschland lebe.
Und so gestehe ich heute frank und frei, dass ich die ersten vier Bände der Nicolae-Saga geschrieben habe, ohne je zuvor einen Fuß in das Land gesetzt zu haben, das mir beim Schreiben so bildhaft vor Augen stand.
Allerdings hatte ich bis dahin auch noch nichts veröffentlicht. Als der Zeitpunkt näher rückte, wollte ich mich absichern, keinen grundlegenden Irrtümern erlegen zu sein.
Die Absegnung
Zum Glück war ich damals mit einer Journalistin aus Bukarest in Kontakt gekommen, die ebenfalls Bücher schrieb. Sie war eine gebürtige Deutsche, hatte mehrere Jahre in diplomatischen Diensten in Rumänien verbracht und sich in Land und Leute verliebt. Sie beschloss, dort dauerhaft leben und arbeiten zu wollen, heiratete später einen rumänischen Berufsfotografen, der auf historische Stätten spezialisiert ist, und reist fortan mit ihm gemeinsam durchs Land. Er ist für die Bilder zuständig, sie für die Texte - ein tolles Team, das ich zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Blog noch vorstellen werde.
Bevor ich den ersten Band der Nicolae-Saga veröffentlichte - in dem mein noch sehr junger Titelheld das erste Mal zusammen mit seiner Mutter in ein Kurbad ins heutige Rumänien reist und anschließend durch Siebenbürgen in die Südkarpaten weiterfährt -, schickte ich besagter Internet-Freundin meine Manuskripte zu Band 1 und 2. Ich bat sie, insbesondere die "Rumänien-Passagen" aufmerksam zu lesen. Da sie im wahrsten Sinne des Wortes "gut bewandert" war und das Land in alle Himmelsrichtungen bereist hatte, konnte ich ihr nichts vormachen.
Ob sie wohl die Regionen erkannte, die ich in meinem Roman beschrieben hatte? Vor allem diejenigen, die ich bewusst nicht näher benannt hatte?
Sie tat es. Und zwar auf Anhieb. - Mir fiel ein Stein vom Herzen!
Das war der Segen, den ich brauchte, um den Schritt in die Veröffentlichung zu wagen.
Ein kleiner Vorgeschmack auf Rumänien
Natürlich reichte mir das nicht. Die Sehnsucht, den Handlungsort der Nicolae-Saga zu bereisen, wurde immer größer.
Das allererste Mal, dass ich rumänischen Boden betreten habe, fand vier Jahre vor der ersten richtigen Recherche-Reise statt, und zwar im Rahmen einer Donaukreuzfahrt. Ich habe das Land also von der Wasserseite her kennengelernt.
Auf der Donau
Mit einem Klick aufs Foto können Sie dieses vergrößern und die Bilduntertitel lesen.
Die Cazanenge - eine mehr als 100 km lange Kataraktenstrecke durch das Balkan- und Karpatengebirge - sowie das Eiserne Tor waren absolut beeindruckend. Vor allem der in den Fels gehauene Dakerkönig Decebalus Rex - mit seinen imposanten 55 Metern die höchste Felsskulptur Europas! - hat mich geradezu ergriffen, zumal ich mich mit ihm während meiner Recherchen zu Rumänien ausführlich befasst hatte. Auf einer späteren Reise habe ich ihn nochmals von der Landseite aus besucht. Und wieder herrschte um ihn herum eine Ehrfurcht gebietende Atmosphäre.
Nach der Fahrt durch die engen Schluchten mit bis zu 300 Metern aufragenden Felsen eröffnete sich am Ende die liebliche Bucht von Orsova. Dort standen Angehörige der Schiffscrew winkend und jubelnd am Ufer, um ihre Liebsten zurück in der Heimat zu begrüßen. Es war für diese die letzte Fahrt der Saison gewesen.
Ich werde nie einen unserer Kellner vom Bordrestaurant vergessen, als er auf dem Oberdeck stand und auf ein Haus deutete. Dort ist mein Zuhause, sagte er mit Tränen in den Augen. Acht lange Monate waren sie von ihrer Familie getrennt gewesen, immer die Donau rauf und runter, von Passau bis zum Schwarzen Meer und wieder zurück.
In solchen Momenten sieht man die Menschen hinter der Fassade. Und am Abend, der - da wir rumänisches Gewässer erreicht hatten - der Folklore mit Gesang und Tanz und traditionellen Gerichten gewidmet war, gaben fast alle ihr zurückhaltendes Wesen auf; so groß war die Freude, endlich wieder daheim zu sein. Sie wirbelten in ihren Trachten zur Hora (rumänischer Rundtanz) herum, dass einem ganz schwindelig vom Zugucken wurde, ganz zu schweigen davon, dass einem die Musik direkt in die Beine fuhr. So außer Rand und Band und durchdrungen von purer Lebensfreude hatten wir die Crew bisher nicht erlebt. Am Morgen darauf trugen sie zwar wieder ihre höflich zurückhaltende - fast schon norddeutsche! - Art zur Schau, aber in den Augenwinkeln blitzte es noch vor lauter Freude.
Bukarest
Auch rumänischen Boden haben wir kurz betreten;
In der Hauptstadt Bukarest:
- den Platz vorm Parlamentspalast "Haus des Volkes", wo wir versucht haben, das gigantische Gebäude in Gänze zu fotografieren - ein schwieriges Unterfangen mit meiner damals simplen Digitalkamera und im Gegenlicht;
- ebenso den Vorbau einer orthodoxen Kirche, die ich später nie wiedergefunden habe und in der ein Gottesdienst zu Ehren eines Heiligen stattfand, sodass halb Bukarest sich blumenbeladen hineinzudrängen gedachte - ein Erlebnis!
- und leider viel zu kurz das Dorfmuseum "Dimitrie Gusti" an der Kiseleff, das wir später noch häufiger besuchen sollten und wo man locker einen ganzen Tag verbringen kann - eine Oase inmitten der Hauptstadt.
Den Rest der Stadttour habe ich mit meiner Nase am Busfenster geklebt, damit mir ja nichts entginge, und jede Menge scheußliche Fotos durch die reflektierenden und blau getönten Scheiben gemacht. Es waren meine ersten "Schätze", die ich mit nach Hause brachte und die nunmehr aufgrund ihrer schlechten Qualität keinen Einzug in meine Schatzkiste erhalten haben.
Eigentlich schade. Hat ja schon wieder was, dieses Unperfekte in Zeiten von KI. Vielleicht werde ich diesen Erstlings-Fotos doch noch eine Seite in meiner Schatzkiste unter "Schauplatz Rumänien" einrichten. Mal sehen.
Tulcea

In der Hafenstadt Tulcea
sind wir ebenfalls von Bord gegangen, aber nur um auf eines der kleineren Motorschiffe umzusteigen, die den Sulina-Kanal durchs Donaudelta Richtung Schwarzes Meer schippern.
In Erinnerung geblieben sind mir jede Menge Reiher und Pelikane sowie eine bizarre Wurzellandschaft entlang des Ufers.
Für richtige Expeditionen ins Delta, bei denen man die Vogelwelt in ihrer Vielfalt beobachten kann, empfehlen sich kleinere Fischerboote ab Mila 23. Aber für einen ersten Eindruck war der "Törn" ganz nett.
Im nächsten Beitrag geht es weiter mit der ersten "richtigen" Recherche-Reise in Rumänien!
Lesen Sie zum Thema "Recherche" auch: Fragen aus dem Publikum Teil 4