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Jubiläum! Die Premieren-Lesung

Jubiläum! Die Premieren-Lesung

In Ermangelung eines Fotos, hier eines von meiner ersten Messelesung in Leipzig 2014
In Ermangelung eines Fotos, hier eines von meiner ersten Messelesung in Leipzig 2014

Über Die Geburtsstunde der Nicolae-Saga hatte ich das vorherige Mal hier in meinem Blog geschrieben; ebenso über alles, was dem vorausgegangen war: ihre Entstehung, die Romanrecherche, die Suche nach einem Verlag und schließlich die Verwandlung eines Manuskripts in ein veröffentlichungswürdiges Buch. Der letzte Prozess hat übrigens ein ganzes Jahr in Anspruch genommen, währenddessen ich an den Folgebänden weitergeschrieben habe.

Meine allererste LEsung

Die Feier zur Geburt meines Debütromans vor 15 Jahren fiel mit meiner allerersten Lesung zusammen, nur wenige Tage nach seinem Erscheinen. Diese fand, wie bereits im letzten Blogbeitrag erwähnt, in meinem Fitnessstudio statt; dort, wo ich über all die Jahre zum Ausgleich zu der stundenlangen Schreibtischarbeit regelmäßig Kurse besucht habe, um meine verhärtete Nackenmuskulatur zu lockern und meine vernachlässigte Rücken- und Bauchmuskulatur zu stärken. Insofern fand ich diesen eher ungewöhnlichen Lesungsort äußerst passend.

 

In meinem zudem vertrauten Umfeld, im Kursraum, hatten sich 23 Zuhörer versammelt; mit maximal 14 hatten wir gerechnet. Sie saßen auf Matten, Aerokissen, großen Bällen und Steppern und blickten mir erwartungsvoll entgegen.

 

Wie sich denken lässt, war ich furchtbar aufgeregt, sodass ich noch vor Beginn der Lesung total durchgeschwitzt war. Doch ich hatte mich auf jegliche Eventualitäten eingestellt und sogar etwas zum Wechseln dabei.

Vorbereitungen

Es war schon etwas beunruhigend, was laut Aussage erfahrener Autoren alles schiefgehen konnte bei einer Lesung. Darum hatte ich sämtliche Ratschläge befolgt und eine Checkliste zusammengestellt, die ich sorgfältig abgearbeitet hatte.

Kaum zu glauben, an was man alles - allein im Vorwege! - denken muss. Also bloß am vereinbarten Tag pünktlich da zu sein, das Buch aufzuschlagen und an irgendeiner Stelle loszulegen, ist nicht. Obwohl ich so etwas bei anderen Autoren tatsächlich schon erlebt habe. Und so sah meine Checkliste aus:

 

Organisatorisches

  • Den zeitlichen Rahmen mit dem Veranstalter festlegen
  • Werbematerial wie Plakate und Flyer aushändigen
  • Pressetext verfassen
  • In welcher Form macht der Veranstalter Werbung?
  • Über wen laufen die Anmeldungen?
  • Wer macht die Anmoderation?
  • Kurz-Vita an die Hand geben
Räumlichkeit
  • Sind technische Voraussetzungen für eine eventuelle Musikbegleitung vorhanden?
  • Wie sind die Lichtverhältnisse im Veranstaltungsraum?
  • Gibt es eine Leselampe? Am besten selbst mitbringen!
  • Ist mit störenden Nebengeräuschen aus Nachbarräumen oder von draußen zu rechnen? Lassen sich diese für den Zeitraum der Lesung ggf. abstellen?
  • Wie ist der Lesungsplatz gestaltet? Gibt es einen Tisch und ggf. ein Mikro? Ist der Sitzplatz bequem?
  • Und vor allem: Gibt es prickelfreies Wasser, damit es beim Lesen nicht zu ungewollt aufstoßenden Geräuschen kommt?
  • Steht ein Büchertisch parat, um Signierexemplare und Werbematerial auszulegen?

Diese Punkte kläre ich seit Anfang an immer im Vorwege ab. Von der Seite kann es eigentlich keine Überraschungen geben.

Kann es schon! Und zwar reichlich! Aber zum Glück nicht auf meiner Premieren-Lesung.

goldene Regeln

Die wichtigsten Hinweise erfahrener Autoren für eine Lesung lauteten:

  • LANGSAM lesen. Erst wenn ich den Eindruck hätte, die ersten Zuhörer würden jeden Moment eingeschlafen vom Stuhl sinken, wäre es die richtige Redegeschwindigkeit. - Ein guter Tipp. Denn tatsächlich spricht man vor Aufregung ungewollt schneller. Nach den ersten Lesungen war ich fast immer 5 Minuten früher fertig als bei den Proben.
  • Bei jedem Absatz eine gedachte PAUSE zum Luftholen einlegen. - Das ist wirklich nicht so leicht, wie es sich anhört. Denn man muss erst lernen, die Stille zu ertragen, in der eine Sekunde bekanntlich zur Minute anschwillt.
  • Den Zuhörer nicht durch zu lange oder komplizierte Sätze überfordern. Immer hübsch aufs KISS-Prinzip achten - Also: Keep it short and simple. Denn gesprochene Sätze sind schwieriger aufzunehmen als geschriebene. Das gilt natürlich nur für den Vortrag, nicht für die zu lesenden Textpassagen; diese kann man zwar zur Not für eine Lesung leicht bearbeiten, aber es sollte nach Möglichkeit der Originaltext bleiben, um einen realistischen Eindruck des Schreibstils zu vermitteln.
  • Daran denken, dass der heutige Mensch nach den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht länger als 15 Minuten aufmerksam zuhören kann. - Oje! Da könnten wir ein Problem kriegen! Darum hat sich eine musikalische Begleitung als Auflockerung zwischen den Textpassagen als Gold wert erwiesen. Doch die kam erst in den Folgejahren.
  • Bloß nicht durch Knistern, Husten, Füßescharren aus dem Konzept bringen lassen. - Tja, das sagt sich so leicht!
  • Zu rechnen wäre auch mit Gequatsche im Publikum oder dass welche währenddessen den Raum verlassen. - Wie unhöflich! Aber ja, sogar im Theater und klassischen Konzert schon erlebt. Tzz...
  • Egal, welche Störquellen auftauchen, Augen zu und durch! - Wirklich? Darf man einen Quasselkopp schalten und walten lassen? Ist das nicht auch unfair gegenüber den anderen Zuhörern? Störungen sollte man nach Möglichkeit abstellen, auch wenn dies eine Unterbrechung bedeutet. Daher finde ich, dass man diese Regel flexibel handhaben sollte.

Nach dem Lesen all dieser Ratschläge stand mir bereits der Schweiß auf der Stirn. Denn Erfahrungen hatte ich zu dem Zeitpunkt ja noch keine gesammelt. Also rechnete ich mit allem, vor allem mit dem Schlimmsten.

 

Das ganze Konzept hatte ich streng nach den obigen Regeln ausgerichtet. Da es eine Abendveranstaltung war und wir gemeinsam auf meinen Erstling anstoßen wollten, gab es hinterher einen Weinausschank. Dafür brachte ich ein paar Flaschen unseres damaligen Hausweins mit dem passenden Namen LESEGUT mit. Zum Schnabulieren hatte ich Mini-Cheddar-Scones gebacken, passend zum Handlungsort der Saga. Beides kam gut an. - Aber ich habe vorgegriffen ...

Als wäre es gestern gewesen ...

Während ich diese Zeilen schreibe, stehe ich plötzlich wieder vor meiner allerersten Zuhörerschaft im Kursraum. Vor lauter Aufregung bekomme ich kaum mit, wie ich anmoderiert werde. Dankbar bin ich für die überwiegend mir bekannten Gesichter, doch es sind auch einige fremde darunter. Egal, ich sehe ohnehin alles etwas verschwommen.

 

Dann wird es plötzlich still. Viel zu still. Alle Augen sind erwartungsvoll auf mich gerichtet. Sagte ich schon, dass ich alles andere als eine Rampensau bin? Schon Referate in der Schule habe ich gehasst wie die Pest. Nicht, sie schriftlich auszuarbeiten, das war eine meiner leichtesten Übungen. Aber sie zu halten war mir immer ein Graus. Insofern muss ich nach so vielen Jahren erneut über meinen Schatten springen.

 

Natürlich begleiten mich schwitzige Hände und ein trockener Mund. Letzteres übrigens ziemlich ungünstig, wenn man eine Lesung von 90 Minuten geben möchte.

Wie war das? Augen zu und durch! Das ist die einzige goldene Regel, an die ich mich jetzt noch erinnern kann.

 

Doch schon nach kurzer Zeit befinde ich mich in einem Tunnel. Zwar schaue ich, wie es sich gehört, immer mal wieder von meinem Text auf, um ins Publikum zu blicken. Aber mein Lesungsskript zieht meine Augen wie ein Magnet zurück auf den Text, er gibt mir Halt.

 

Inzwischen spüre ich wieder etwas mehr von mir selbst. Mein Herz klopft immer noch wie verrückt bis hoch in den Hals. Meine Stimme habe ich einigermaßen in der Gewalt, obwohl mir die Zunge am Gaumen kleben bleiben will. Aus dem Glas Wasser zu nippen - undenkbar! Ich würde den halben Inhalt verschütten. Es muss so gehen.

 

Nun tut sich auch der Raum wieder vor mir auf. Es ist seltsam still. Wo sind die angekündigten Knisterer und Füßescharrer? Kein Laut zu hören, kein Räuspern, kein Rascheln, kein Schnaufen. Oh Gott, sind sie womöglich schon alle eingeschlafen? Erneut bricht mir der Schweiß aus. Das unbehagliche Gefühl, alle zu langweilen, beschleicht mich.

 

Es nützt nichts. Augen zu und durch! - bis zum bitteren Ende, und zwar LANGSAM, auch wenn es jetzt besonders schwerfällt.

Sobald ich eine Textpassage aus meinem Buch lese, kann ich wieder tiefer durchatmen. Dort, in meiner Romanwelt, fühle ich mich zu Hause und sicher. Währenddessen kann ich es wagen, auch mal längere Blicke ins Publikum zu werfen. Mein Herz setzt aus! Ich schaue in lauter leere Gesichter!!! Nichts regt sich in ihnen.

Ich will nur noch fertig werden.

 

Dann ist es so weit. Die letzten Sätze sind erreicht. Ich bedanke mich für das geduldige Zuhören und möchte mich am liebsten in Luft auflösen.

Noch immer sitzen alle reglos auf ihren Plätzen, nicht einmal die auf den großen Bällen verändern ihre Position. Warum sagt denn niemand etwas? Es ist doch vorbei! Es sind alle erlöst! Warum hasten sie nicht aus dem Raum, um etwas von dem restlichen Abend zu retten?

 

Ich halte die Stille nicht mehr aus. "Warum sagt denn keiner etwas?", frage ich zaghaft. 

Da! Die erste erstarrte Maske erwacht allmählich wieder zu Leben.

"Wir müssen erst einmal wieder in den Raum zurückkommen", antwortet mit einiger Verzögerung eine Stimme.

"Du hast uns mit deiner Geschichte verzaubert", sagt eine andere. "Wir waren dort! Bei deinem Titelhelden. In seinen Träumen. Und in seiner bedrohlichen Realität."

Dann bricht Applaus aus.

 

DAS also hatten all die leeren Gesichter und die ungewöhnliche Stille zu bedeuten! Und ich hatte geglaubt, dass alle total abgeschaltet hätten und mit ihren Gedanken ganz woanders waren. Weil ich mich doch auf viele Nebengeräusche eingestellt hatte, weil doch kaum jemand über eine längere Zeit zuhören kann, weil ... EGAL.

 

Sie können sich sicher vorstellen, wie erleichtert ich war. Noch nie war ich so glücklich, etwas völlig falsch gedeutet zu haben. Aber damit konnte ich ja nun wirklich nicht rechnen. Wie gesagt, war ich auf das Schlimmste gefasst gewesen.

 

Anschließend gab es noch eine lebhafte Frage-und-Antwort-Runde, die ich ganz entspannt genießen konnte. Und dann tat der Wein das Übrige dazu, den Abend dem Anlass entsprechend feierlich ausklingen zu lassen.

Die Feuertaufe war bestanden.