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Vorsicht: Bestseller!

Vorsicht: Bestseller!

Vorsicht: Bestseller! - Eine Analyse der etwas anderen Art

Vorhin fiel mir der Prospekt einer großen Buchhandelskette in die Hände. Angepriesen wurde „Sommerlektüre“.

Aha, wir stehen also  kurz vor den großen Schulferien.

Ich blättere ihn durch, um zu sehen, ob mir irgendwas ins Auge springt.

 

Die ersten Seiten sind wie üblich von Krimis belegt, deren Schauplatz beliebte Urlaubsorte bzw. Traumziele sind. Ergibt Sinn.

Provence geht immer, schon wegen der schönen Lavendelfelder. Und natürlich die Bretagne, an der Küste mordet es sich immer gut. Selbstverständlich darf der berühmte italienische Ermittler nicht fehlen – alle Achtung: sein 32. Fall! Fast bescheiden reiht sich noch ein Capri-Krimi in die mediterrane Ecke. Dann folgen auch schon die Friesen- und Nordseekrimis wie Sand am Meer.

 

Bevor es dann seitenweise zu Liebes- und Beziehungsromanen geht, fallen mir drei (immerhin!) Thriller ins Auge.

Zwei davon stehen auf der Spiegel-Bestsellerliste. Der Klappentext des einen liest sich wie die Hausaufgabe eines Schülers. Der andere packt mich.

 

Hm … soll ich? Attention und Interest sind geweckt. Ihr könnt euch auf die Schulter klopfen, ihr lieben Leute aus der Marketingabteilung: Das AIDA-Prinzip hat gegriffen. Jedenfalls zur Hälfte. Fehlen noch Desire und das allerwichtigste, die Action – also der Kauf.

 

Was mich zögern lässt, ist genau das, was die meisten Kunden animiert, ein solches Buch zu kaufen – nämlich: das werbewirksame rot-orange Label auf dem Cover, das mir suggerieren soll, dass dieser Thriller sich verkauft wie warme Semmeln. Muss also gut sein. Oder??

 

Tja, leider bin ich einmal zu oft auf diese Masche hereingefallen. Als Autorin habe ich einen Blick hinter die Kulissen des Buchmarktes geworfen und weiß, wie der Hase läuft.

Doch hin und wieder steht ein Titel durchaus zu Recht auf der sogenannten Bestsellerliste. Daher mache ich mir die Mühe und hole mir online beim großen A nähere Information zum Buch.

 

Die Produktbeschreibung

Die plakativ aufgemachte Produktbeschreibung vom Verlag ist ein weiterer Punkt, der mich Vorsicht walten lässt.

Unter dem Buchcover nebst Klappentext folgt großformatig das übliche Werbebild: dreidimensionale Buchdarstellung ins Covermotiv integriert (doppelter Eyecatcher). Darunter einmal mehr das Buchcover mit Klappentext in Riesenformat – habe ich beides doch schon oben gesehen! Danach folgt ein Autorenfoto – düster die Miene passend zum Hintergrund, wie es sich für einen Thrillerautor gehört. Daneben eine Kurzbiografie mit all seinen Wahnsinnserfolgen und …

 

Zack, da haben wir’s mal wieder! Ich erfahre, dass der Autor für führende Zeitungen und Magazine geschrieben hat, u.a. für dasjenige, das die Bestsellerlisten erstellt, auf dem sein Buchtitel nun steht. Überraschung!

Sorry, aber so etwas stößt bei mir sauer auf. Denn irgendwie scheint es Methode zu haben, obwohl dies immer wieder vehement abgestritten wird. Aber wie oft sind es Journalisten, deren Bücher von ihren (ehemaligen) Kollegen in den Feuilletons vielfach besprochen und rezensiert werden? Es geht doch nichts über Vitamin B - falls man nicht das Glück hat, ein Promi zu sein, dann ist allein der bekannte Name auf dem Buch Werbung genug.

Ja ja, ich weiß, es gibt Ausnahmen – rühmliche Ausnahmen, die die Regel nur bestätigen.

 

Na gut, muss ja alles noch nichts heißen. Vielleicht kann der Journalisten-Autor ja wirklich verdammt gut schreiben. Das sollte man doch annehmen, oder? Auch wenn ein Roman etwas völlig anderes ist als ein Zeitungsartikel, so weiß er fraglos mit der Macht der Worte umzugehen und sie entsprechend handwerklich einwandfrei zu setzen.

 

 

 

 

Die Leserrezensionen

Ich streife mein Vorurteil ab und schaue mal bei den Leserbewertungen.

 

Aber was ist das? Bevor ich zu den Rezensionen komme, erscheint ein weiteres Werbebild, diesmal mit seinem vorherigen Thriller, der ebenfalls ein Bestseller ist. Über siebenhundert 5-Sterne-Bewertungen – werbetrommelt der Verlag in fetten Buchstaben. Hm, ganz ehrlich? Das ist mir der Werbung zu viel. Und tut hier ohnehin nicht zur Sache. Es geht schließlich um ein neues Buch.

 

Wir  sind hier doch nicht in der Schule, nach dem Motto: einmal ein Einser-Schüler, immer ein Einser-Schüler. Oder??

Doch ja. So funktioniert es leider. In der Schule wie in der Buchbranche. Wer einmal einen der vielen Buchpreise ergattern konnte, der ist bald schon für den nächsten nominiert. Ob gerechtfertigt oder nicht. Alles eine Frage des aufgebauten Images, also der Personenvermarktung – und natürlich der Beziehungen. Man muss sich schon engagieren, in diversen Kultur- und Schriftstellerverbänden. Die richtigen Leute kennen. Sich gut vernetzen. Von sich reden machen.

 

Nun aber zu den Leserbewertungen. Wozu natürlich auch die lieben Kollegen gehören, versteht sich. Sowie diverse Berufsleser und Blogger, die vorab kostenlose Rezensionsexemplare erhalten. Es gilt also Abstriche zu machen. Nur „verifizierte Käufe“ interessieren mich. Wie gut, dass A dieses Kriterium anzeigt!

 

Anhand der Formulierung kann ich meist ohnehin ganz gut erkennen, ob hier ein professioneller oder ein „normaler“ Leser zu Wort gekommen ist. Nur die Meinung des Letzteren ist für mich von Belang, denn da weiß ich wenigstens, dass es sich um keine Bewertung aus Gefälligkeit oder zu Marketingzwecken handelt. Denn ja, auch Verlagsmitarbeiter sind schließlich Leser und es steht ihnen frei, auf Amazon eine Rezension zu hinterlassen.

 

Die Auswertung

Das Ergebnis sieht folgendermaßen aus: 48% 5-Sterne, 32% 4-Sterne, 16% 3-Sterne.

Das wiederum spricht m. E. für das Buch. Kontrovers diskutierte Inhalte finde ich wesentlich interessanter als 5-Sterne-bewertete Mainstream-Produkte.

 

Und hier die Auswertung der gelesenen Rezensionen:

  • Ein spannendes Buch, da waren sich die Leser bis auf ganz wenige Ausnahmen einig. - Dieses Kriterium sollte ein Thriller allerdings ohnehin erfüllen, oder?
  • Brillante Idee, schlechte Umsetzung, schrieben mehrere. - Was heißt das genau? Hatten sie sich von dem Thema mehr versprochen? Oder anderes erhofft? Ging es nicht in die Richtung, die sie angenommen hatten? Oder war ihnen das Thema gar zu kurz gefasst? Ohne nähere Erläuterung kann ich mit diesem Kritikpunkt nichts anfangen. Es ist trotzdem eine ziemliche k.o.-Keule. Denn gerade auf die Umsetzung kommt es doch an. Was nützt allein die gute Idee?
  • Konstruierte Handlung, wurde als weiterer Kritikpunkt vielfach genannt. Das allerdings würde mich immens stören. Egal ob in einem Buch oder Film. Egal in welchem Genre. Nichts ist schlimmer als ein unglaubwürdiger Plot oder nicht stimmige Charaktere.
  • Figuren zu unsympathisch, fanden manche. - Dazu kann ich nur sagen: Romanfiguren müssen mir nicht sympathisch sein – schon gar nicht in einem Thriller! Wer Identifikationsfiguren sucht, muss zum Kinder- oder Jugendbuch greifen. Die sind extra so konzipiert. Oder zu modernen Beziehungs- oder Familiengeschichten, wo es ums Wiedererkennen der eigenen Lebenssituation geht.
  • Ende zu offen, bemängelten andere. - Hm, das würde ich eher als Pluspunkt werten. Es muss nicht alles zu Ende erzählt sein. Man kann gerne mal die eigene Fantasie bemühen. Sofern das eigentliche Konfliktthema gelöst und schlüssig erklärt ist, versteht sich.

Die Leseprobe

Bleibt mir zum Schluss nur noch, eine Leseprobe zu nehmen. Denn der Schreibstil ist für mich das A & O. Gefällt er mir und kann mich packen, kann ich über kleine Mängel locker hinwegsehen.

 

Der erste Absatz gefällt mir nicht schlecht. Schöne Beschreibung des Settings und gleichzeitiger Aufbau von Spannung. Doch ich weiß, wie sehr sich Autoren Mühe mit den ersten Sätzen und Absätzen geben, um Lektorate zu beeindrucken. Also lese ich weiter hinten. Und verliere bald die nötige Aufmerksamkeit.

 

Warum? Die zwei Hauptcharaktere und ihre Biografien haben mich gähnen lassen, ein bisschen zu viel Klischee; vor allem was den Konflikt zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten anbelangt, aus denen die beiden stammen. Zumal in der heutigen Zeit!

 

Die Dialoge haben mich dann vollends einschlafen lassen, ich hätte sie fast mitsprechen können. Zu abgedroschen.

 

Fazit

Schade. Wirklich. Ich wollte diesem Thriller so gerne eine Chance geben, trotz meiner Vorbehalte.

 

Die Kritikpunkte der Leser, die ich sogar noch zu entkräften versucht hatte, haben sich leider bestätigt, selbst in der kurzen Leseprobe.

 

Wieder einmal hat sich mein Vorurteil bestätigt: Ich lasse lieber die Finger von großartig angepriesenen Krimis oder Thrillern von Bestsellerlisten.

 

Nur: Wo finde ich in der Belletristik literarische Perlen? Die muss es doch auch geben? Oder??


Und welche Erfahrungen haben Sie mit Bestsellern gemacht? Ich bin gespannt! >> Kontakt