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Bücher - Freunde fürs Leben

Bücher - Freunde fürs Leben

Bücher - Freunde fürs Leben: das war das Thema meines letzten Newsletters. Darin hatte ich beschrieben, wie ich bereits in sehr jungen Jahren zum Lesen gefunden habe und welche Klassiker es mir am meisten angetan hatten. Natürlich konnte ich nicht alle erwähnen, das hätte den Rahmen gesprengt.

Auch viele der nicht Genannten sind mir zu wahren Freunden geworden. Das bedeutet, dass ich sie in Abständen immer wieder lese, weil sie mir so viel zu sagen haben. Je nach Reifegrad ziehe ich mir immer etwas anderes daraus.

 

Als ich Dostojewskis fünf große Romane ...

  • Schuld und Sühne
  • Der Idiot
  • Die Dämonen
  • Der Jüngling
  • Die Brüder Karamasow

... das allererste Mal im Teenager-Alter las, hatte ich von Ideologien, Philosophie und dem historischen Weltgeschehen noch keine große Ahnung. Was mich an den Romanen interessierte und faszinierte, war in erster Linie die Handlungsweise der Progagonisten im Wechselspiel mit ihrem familiären Umfeld, der Gesellschaft und mit sich selbst. Vielleicht sind die ersten Ansätze für meine Nicolae-Saga so entstanden, wer weiß?

 

Die komplexen Charaktere haben bis heute nichts an Faszination für mich verloren. Ob das Kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung in „Der Idiot“, oder das Buhlen um die Gunst des verhassten Vaters in „Die Brüder Karamassow“, oder aber die Selbstqual und moralische Verwerfung Raskolnikows in „Schuld und Sühne“ – all das hat mich bereits in jungen Jahren einen tiefen Einblick in die menschliche Psyche nehmen lassen.

 

Erst später habe ich die Werke im Zusammenhang mit ihrem historischen und gesellschaftlichen Hintergrund erfassen können. Auch wenn ich anfangs vom Weltgeschehen nur wenig wusste, so hat sich mit jedem Romanklassiker die Historie für mich wie ein Puzzle immer weiter zusammengesetzt.

 

Der Bücherschrank meiner Eltern beinhaltete mehrheitlich Werke aus dem 19. Jahrhundert. Ich denke, dass dies mit ein Grund sein könnte, warum ich mich dieser Epoche so sehr verbunden fühle. In jener Zeit befand sich die bisherige  Gesellschaftsordnung im Umbruch und alte Glaubenssätze wurden massiv in Frage gestellt. Dieses Spannungsfeld zwischen alter und neuer Welt und wie die Menschen sich darin mehr oder weniger behaupteten, war – und ist immer noch – für mich spannender zu lesen als jeder Krimi.

Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“, der nicht wie bei Dostojewski in Adelskreisen, sondern im bürgerlichen Kaufmannsmilieu und zudem in Lübeck spielt, ist meiner eigenen Realität als Hamburgerin natürlich sehr viel näher.

 

Die inneren Kämpfe der Menschen jedoch sind die gleichen wie in Dostojewskis Adelskreisen, Dickens Armenvierteln oder Thomas Hardys bäuerlichem Milieu – wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen und Schweregraden.

 

"Buddenbrooks" ist einer meiner Lieblingsromane, darum ist diese Ausgabe schon reichlich zerlesen, sodass ich sie mit einem Gummiband zusammenhalten muss (für das Foto natürlich entfernt).

An Thomas Manns Familienroman schätze ich das zwinkernde Auge, mit dem er seine Romanfiguren charakterisiert, und die leise Ironie, die in jeder Zeile mitschwingt. Deutlich zeigt sich seine Liebe zu dieser fiktiven Familie, die durchaus Ähnlichkeiten zu seiner eigenen zulässt. Er beschreibt seine Protagonisten, bewertet werden sie nur durch die Augen der anderen Familienmitglieder. Insofern können sich Leser mit jeder Figur identifizieren oder mit ihr sympathisieren. Außer natürlich mit  Herrn Grünlich, ein Widerling muss schließlich sein.

 

Aus Büchern fürs Leben lernen

Die Verhaltensweisen der Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen – Tugenden und Lastern sagte man damals – spielen sich meiner Leseerfahrung nach immer wieder nach einem ähnlichen Muster ab, gleich in welcher Epoche oder sozialen Schicht sie eingebettet sind.

Darum habe ich oft das Gefühl, dass sich im Weltgeschehen – wider besseres Wissens durch neue Erkenntnisse in der Psychologie und Soziologie – nicht wirklich viel ändert hat. Die Religionen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch allerlei Ideologien ersetzt, denn der damals moderne, aufgeklärte Mensch trat – besonders im Bildungsbürgertum – gerne als Wissenschaftsanhänger auf und hatte für die alten Dogmen der Kirche nur noch ein müdes Lächeln übrig. Die sich immer weiter ausbreitenden Ideologien in der westlichen Hemisphäre lieferten bekanntlich aber ebenso viel Zündstoff wie die Religionen Jahrhunderte zuvor. 

 

Heutzutage werden die ideologischen Kämpfe sogar schon auf unseren Tellern ausgetragen – nach dem Motto: Sag mir, was du ißt, und ich sage dir, ob du ein tugendhafter oder lasterhafter Mensch bist. Denn es geht um die Wurscht! Sogar ein Hühnerei kann bereits zur Gewissensfrage werden.

Was würde wohl ein Elender aus Victor Hugos oder so ein armer Schlucker aus Dickens Romanwelt davon halten?

 

Eigentlich wird es höchste Zeit, mal wieder Orwells „1984“ und Huxleys „Schöne neue Welt“ zu lesen. Aber all diese Dystopien, die sich momentan großer Beliebtheit erfreuen, ob als Buch oder Netflix-Serie, sind für mich der reinste Horror. Zu glaubwürdig und zu vorstellbar sind inzwischen die Szenarien. Leider lernen wir nicht daraus.

 

Vielleicht ist das der Grund, warum Liebesromane gerade Hochkonjunktur haben. Ein Stückchen heile Welt, nach der wir uns alle sehnen, muss doch irgendwo noch zu finden sein. Da, wie ich bereits in meinem Newsletter erläutert hatte, dieses Genre für mich nichts ist, bleibe ich bei meinen Klassikern und denke mir am Ende mit einem tiefen Seufzer: Wenn ihr wüsstet, wie die Welt heute aussieht!

 

Der Sprung Vom LEsen zum Schreiben

... war mit den Klassikern im Hinterkopf nicht allzu abwegig und kam dennoch überraschend. Ich hatte ihn nämlich nicht geplant. Zwar hatte ich als Zwölfjährige mal die Fantasievorstellung, später zu schreiben wie Agatha Christie – in dem Alter war ich ein totaler Krimi-Fan – aber das war nur eine kurze Episode und zu Papier gebracht hatte ich so gut wie nichts. 

 

Das Aufsatzschreiben in der Schule jedoch fiel mir nicht schwer. Und als wir später einmal im Englisch-Unterricht die schwarz-humorigen Geschichten aus "Kiss, Kiss" von Roald Dahl zu fassen hatten, war ich in meinem Element.

Ich kann mich an eine Reizwortgeschichte erinnern, die wir als Hausaufgabe schreiben sollten, und meine Englischlehrerin war von meiner so begeistert, dass sie sie für ihren Leistungskurs als Vorbild verwenden wollte. Das war ein schönes Kompliment.

 

Aber das war es dann auch schon mit irgendwelchen schriftlichen Ergüssen. Klar, Tagebuch habe ich geschrieben, wie fast jeder Teenager zu jener Zeit. Später war mir mein Geschreibsel so peinlich, dass ich es vernichtet habe.

Schade, heute würde ich gerne mal hineinschauen.

 

Nein, Nicolae trat gänzlich unerwartet in mein Leben. Und da er mich nicht wieder losließ und seine Geschichte von Tag zu Tag umfangreicher und spannender wurde, beschloss ich eines Tages sie zu notieren – nur für mich, versteht sich. Das daraus mal eine siebenbändige Romanreihe werden würde, hätte ich mir nie träumen lassen.

Als ich anfing die ersten Zeilen hinzuschreiben, standen Handlungszeit und Handlungsort sofort fest. Diese Geschichte konnte sich nirgend anders als im viktorianischen England zutragen.  Zunächst jedenfalls. Dass die Handlung, bzw. mein kleiner Titelheld, mich später auf die entgegengesetze Seite Europas führen und Rumänien ein weiteres Land meines Herzens werden würde, das stand zu diesem Zeitpunkt noch in den Sternen.

 

Meine Romanfamilie hat mir sehr früh den Stift geführt und dafür bin ich dankbar.  Natürlich war sehr viel Recherche nötig, aber das wichtigste Rüstzeug trug ich bereits mit mir. Meine Klassiker hatten es mir im Laufe vieler Jahre mitgegeben.  Darum finden sie in meinen Danksagungen fast immer Erwähnung. Nur durch sie konnte die Nicolae-Saga entstehen. Und dafür bin ich zutiefst dankbar.