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"Historischer Roman" - gestern und heute

"Historischer Roman" - gestern und heute

Mögen Sie historische Romane?

Ich nicht! Oder sagen wir: nur sehr bedingt. Es kommt darauf an.

Ob sie gut geschrieben sind. Ob sie gut recherchiert sind. Ob sie mehr als bloße Unterhaltung im historischen Gewand sind.

Die historischen Romane, die einem heute mit den immer gleichen Covern angepriesen werden, reizen mich jedenfalls nicht.

 

Natürlich gibt es hin und wieder auch sehr gute historische Romane, man muss sie nur finden.

Ich denke da an das "Erlkönig-Manöver" von Robert Löhr, in dem Goethe, Schiller, Kleist, Alexander von Humboldt, Achim von Arnim und Bentine Brettano zur napoleonischen Zeit in geheimer Mission unterwegs sind – ein köstlicher Spaß mit vielen Anspielungen aus deren berühmten Werken. Oder "Die Frau im grünen Kleid" von Stephanie Cowell, ein hervorragend recherchierter und sensibel geschriebener Künstlerroman über den Impressionisten Claude Monet.

 

Auch ein paar einfach geschriebene historische Romane finden sich in meinem Bücherschrank, weil mich die Themen interessierten, wie beispielsweise "Miss Emily Paxton" von Peter Prange, in dem es um den Bau des Kristallpalasts zur ersten Weltausstellung in London geht.  Oder "Rausch" von John Griesemer über die Verlegung des ersten Transatlantikkabels.

 

Der historische Roman - gestern

Früher – ich bin schon etwas älter, darum darf ich getrost von „früher“ sprechen – hatte ein historischer Roman ein bedeutsames Ereignis oder eine große Persönlichkeit einer bestimmten Epoche zum Hauptthema; es ging darin um berühmte Erfinder, Forscher und Entdecker, Künstler, Könige und Kriegsherren. Damals hatten Autoren historischer Romane noch den Anspruch, die jeweilige Epoche möglichst genau zu beschreiben; natürlich mit einer erfundenen Story drum herum. Aber diese nur als Kitt, um dem Leser einen bestimmten Abschnitt der Geschichte unterhaltsam näherzubringen.

Siehe dazu auch das Kapitel "Die Epoche, in der ich mich zu Hause fühle" in meinen letzten Blogbeitrag.

 

Mittlerweile aber ist der „Kitt“ immer mehr hervorgequollen und lässt das Historische zur reinen Kulisse verkommen. Dachte ich damals an historische Romane, fielen mir als erstes der wunderbare Napoleon-Roman „Desiree“ von Annemarie Selinko ein, „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi oder „Der Name der Rose" von Umberto Eco. Oder wer erinnert sich nicht an "Sinuhe, der Ägypter" von Mika Waltari? Diese haben uns die jeweiligen Hintergründe und Zusammenhänge ihrer Zeit nähergebracht und steckten in einzigartigen Umschlägen.

 

Der historische Roman - heute

Die heutigen historische Romane sind schon von außen kaum noch voneinander zu unterscheiden: Frau im historischen Gewand von hinten vor Palast, Villa, Luxusdampfer oder, ganz romantisch: mitten im Lavendelfeld; neuerdings auch gern im urbanen Umfeld, dann aber im Seitenprofil oder frontal vor Stadtsilhouette, berühmten Warenhaus, Cafe oder Hotel.

 

Der Inhalt: die üblichen Intrigen an herrschaftlichen Höfen aufgepeppt mit einer ordentlichen Portion Sex und Gewalt; alternativ eine leichte Liebesgeschichte mit Attributen aus der ewig gleichen Personal- und Kostümschublade.

 

Sorry, aber eine kräuterkundige Rothaarige und ein Scheiterhaufen machen eben noch keinen Mittelalterroman; ebenso wenig wie Sonnenschirmchen und Zylinderhut als Ausstattung für das 19. Jahrhundert ausreichen.

 

Leider sind diese nach Schema F geschriebenen Romane absolut gewollt. Denn angeblich gibt es eine große Nachfrage nach ihnen und die Verlage bedienen sie. So einfach ist das.

Was nicht weiter verwerflich wäre, wenn … ja wenn wenigstens ab und zu noch Platz für etwas anderes da wäre; Platz für Bücher jenseits des üblichen Einheitsbreis.

Aber der wenige übrig gebliebene Platz ist bereits reserviert für Promi-Autoren – verkaufen sich eh wie von selbst, egal was oder wie sie schreiben – oder international bekannte Größen. So ein Ken Follett ist halt 'ne Bank.

 

In welchem Genre schreibe ich?

Nachdem ich 2010 bei einem leider nicht mehr existierenden Verlagsdienstleister meinen ersten Buchvertrag unterschrieben hatte – damals noch auf mehreren Papierseiten in doppelter Ausfertigung mit Originalunterschriften –, sollte ich Angaben zu den Meta-Daten machen.

Meta-Daten sind Informationen zu Büchern wie Buchtitel, Genre bzw. Kategorie, Klappentext, Seitenzahl usw.

 

In der Ergänzung zum Buchvertrag wurde ich also erstmalig nach dem Genre gefragt, in dem mein Buch eingeordnet werden soll – also ob Krimi, Fantasy oder Liebesroman,  um nur die gängigsten zu nennen. Mit diesen Etiketten hat der Leser es leichter, sich in einer Buchhandlung zu orientieren und Bücher entsprechend seiner Interessenslage zu finden.

Dazu bekam ich eine lange Liste zum Ankeuzen.

 

Tja, und damit hatte ich schon das erste Problem an der Hacke.

Denn das Genre „Familiensaga“ (auch Familienroman oder Generationenroman), wie es klar und deutlich auf den Umschlägen meiner 7-bändigen Nicolae-Saga steht, sah diese Liste nicht vor. Auch auf anderen Plattformen, die ich inzwischen zum Veröffentlichen meiner Romanreihe nutze, war dieses Genre nicht wählbar, höchstens als Unterkategorie.

 

Also war ich gezwungen, ein der Nicolae-Saga am nächsten kommendes Genre zu wählen, und das war der „historische Roman“. Wäre ja eigentlich ganz in Ordnung, schließlich ist die Handlungszeit meiner Romanreihe das 19. Jahrhundert, um genau zu sein: die viktorianische Epoche. Nur leider passt sie nicht in die Reihe historische Romane, wie sie heute geschrieben sind. Aber in irgendeine Schublade musste sie nun mal gepackt werden.

 

Bestandteile der Nicolae-Saga

Nun ist also die Nicolae-Saga im Genre "Historischer Roman" gelandet - und fühlt sich dort gar nicht recht wohl. Zwar geht es in ihr auch um unglückliche Liebe und heimliche Sehnsüchte, um politische und gesellschaftliche Intrigen, ja, sogar Krieg, Gewalt und Missbrauch kommen darin vor – denn all das gehört zum Menschentum leider dazu.

 

Aber im Vordergrund stehen die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander. Es geht um Familiengeheimnisse und Familienkonflikte; um das große Thema Erblast und Nicolaes  Verlangen nach Selbstbestimmung; um kleine und große Dramen und die damit einhergehende Frage nach Schuld.

 

Und um das Erwachsenwerden in einer turbulenten, von Fortschritt überollten Zeit, in der die Menschen verzweifelt nach Orientierung suchten und oft genug dabei auf Abwege gerieten. Themen die immer aktuell bleiben und von unterschiedlichen Generationen ebenso unterschiedlich bewertet werden.

 

Meine Nicolae-Saga ist ein Familienroman/Gesellschaftsroman und damit natürlich in gewisser Hinsicht historisch, allein weil die Handlungszeit dies vorgibt.  Darüber hinaus beinhaltet sie mystische sowie mythologische Elemente.

Mit anderen Worten: Die Nicolae-Saga braucht mehrere Schubladen – oder am besten keine!

 

Tabu Genre-mix

Leider ist so ein Genre-Mix hierzulande ein Tabu – abgesehen vom historischen Krimi, der sich längst etabliert und sogar ein eigenes Regal bekommen hat!

 

Seltsam nur, dass erfolgreiche Netflix-Serien mit Genre-Mix gut funktionieren: Historisches gepaart mit Science-Fiction, Fantasy oder Mystery ist derzeit absolut beliebt. Wer solche Serien mag, wird auch solche Romane mögen. Und das scheinen viele zu sein, sonst würde Netflix diese Serien nicht produzieren.

 

Nachfrage und eine „Zielgruppe“ für "Genre-Mix" wären also vorhanden. Aber dazu müsste unser Verlagswesen aus seinem festgezurrten Korsett ausbrechen, sich öffnen für Neues, mal etwas wagen. Denn ja, neben 0815 gibt es noch so viel mehr. Die Welt der Bücher ist bunt! Oder sollte es zumindest sein. 


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